Von Canan Laura Fedrowitz

In ihrem Theaterstück „MARTA“ erzählt die Theatergruppe Raíces von Gewalt gegen Frauen und Femiziden. Der Abend basiert auf kollektiv gesammelten Geschichten. Ein Gespräch mit Regisseurin Lorena Valdenegro über Gewalt gegen Frauen, Identität und Publikumsfeedback.

 

In eurem Theaterstück „MARTA“ geht es um Gewalt gegen Frauen. Warum?

Lorena: Als wir vor drei Jahren mit dem Prozess angefangen haben, war unser Thema „Revolution durch den Körper“. Wir haben angefangen zu recherchieren, was genau die „Revolution durch den Körper“ für uns bedeutet. Wo werden wir unterdrückt? Wo wird unser Körper nicht respektiert? Dadurch sind wir am Ende zu diesem Stück und dem Hauptthema Gender-Gewalt und Femizid gekommen.

 

Was möchtet ihr mit „MARTA“ bewirken?

Lorena: Die Idee dahinter ist, dass die Zuschauerinnen dieses Thema als ein Thema verstehen, dass die gesamte Gesellschaft betrifft und nicht als etwas Privates, das zu Hause oder nur Frauen passiert, sondern auch anderen Communities. Wir reden die ganze Zeit von Frauen, weil wir alle Cis-Frauen sind und uns als Cis-Frauen identifizieren, aber wir sind uns bewusst, dass wir nicht die Einzigen sind, die Gender-Gewalt erleben. Die Idee ist, dass das Publikum sich sensibilisiert und wir den Frauen, die ermordet wurden, eine Stimme geben.

 

Wie ist Euer Stücktitel entstanden?

Lorena: Den Text haben wir in einem kollektiven Prozess kreiert. Jeder hat etwas geschrieben. Dann habe ich das alles mit in meinen Urlaub auf die kanarischen Inseln genommen und dort die Dramaturgie gemacht. Ich weiß nicht, vielleicht habe ich den Namen öfter auf der Straße gehört, aber ich wusste, dass der Stücktitel der Name einer Frau sein sollte. MARTA war perfekt.

 

Welche Reaktion löste Euer Stück bislang beim Publikum aus?

Lorena: Wir haben bei „MARTA“ eine Tafel, ein Buch und auch ein Heft entwickelt, auf und in denen die Zuschauer*innen Feedback und vor allem auch ihre eigenen Geschichten hinterlassen können. Es ist krass zu sehen, wie viele Leute ebenfalls Gewalt erlebt haben. Am Ende des Stückes sagen wir auch immer, dass wir hier sind, um den Frauen, die wir in unserem Stück nennen, eine Stimme zu geben, aber wir wollen auch den Zuschauerinnen eine Stimme geben. Die Leute freuen sich, dass wir dem Thema durch unsere Aufführung einen Raum geben. Wir finden wichtig, dass es kein Tabuthema bleibt und dass darüber gesprochen wird.

 

Beeinflusst dich die ständige Auseinandersetzung mit dem Thema Gewalt gegen Frauen emotional?

Lorena: Ja, es ist sehr emotional. Jedes Mal auf der Bühne ist es anders und jedes Mal ändert sich auch mit dem Prozess etwas. Es ändert sich auch in Bezug darauf, wie und in welcher Phase wir sind. Wir haben aber unsere Strategie, uns davon emotional zu trennen, weil es sonst auch jedes Mal für den Schauspieler schwer ist. Wir machen das auch mit dem Publikum, am Ende des Stücks geben wir ihnen eine Dynamik, damit auch das Publikum sagen kann: Ich lasse das hier.

 

Wenn man mit so einem sensiblem Thema auf die Bühne geht, welche Fehler sollte man vermeiden?

Lorena: Meiner Meinung und meiner Methode nach sollte man nicht so verletzbar auf der Bühne sein mit den eigenen Geschichten. Wenn wir zum Beispiel über unsere Geschichten reden, mischen wir das auch mit Fiktion. Bei Leuten, die das Stück sehen, gibt es immer diese Frage: Ist das nun wahr oder nicht? Aber wie wichtig ist es eigentlich, was wahr ist und was nicht? Wenn es eine Geschichte ist, dann wissen wir, dass es eine Geschichte ist, die auch so passiert. Aber wenn ich als Schauspielerin dahin gehe und mich komplett verletzbar mache, dann kann das auch für mich schwer sein als Schauspielerin. Es gibt andere Leute, die das anders machen, aber für mich und meine Gruppe ist ein sicherer Raum wichtig, wenn man was erzählt.

 

Wie habt ihr für das Stück recherchiert?

Lorena: Wir haben mit Büchern von Rita Segato und anderen Autorinnen wie Coral Herrera oder Bell Hooks angefangen. Dann haben wir Subthemen gefunden und über sie haben wir mit unseren Biografien gearbeitet. Zum Beispiel hatten wir das Thema „Belästigung in freien Räumen“. Unsere Aufgabe war es dann, eine Geschichte über so eine Situation zu erzählen. Aber natürlich nur wer möchte. Außerdem haben wir Geschichten über verschiedene Themen von anderen Frauen gesammelt. Aus all dem haben wir dann eine Fiktion kreiert.

 

Eure Gruppe Raíces beschäftigt sich viel mit den Themen Migration und Identität. Habt ihr alle einen Migrationshintergrund?

Lorena: Ja. Unsere Theatergruppe gehört zum AQUItheater Berlin, das ist ein Forschungslabor für Tanz und Theater, bei dem wir mit Leuten mit Migrationshintergrund arbeiten. Meist sind es Frauen, aber wir sind auch offen für FLINTA. Überwiegend handelt es sich dabei um Frauen mit Migrationshintergrund, weil wir in jedem Prozess versuchen, ein gemeinsames Thema zu finden, das uns durch unsere Biografie verbindet. Wenn wir also über Migration oder Identität sprechen, sind es meistens Frauen mit Migrationshintergrund, aber wenn wir über Gender-Gewalt oder Liebe sprechen, dazu haben wir jetzt auch ein Projekt, dann ist es offen.

 

Gibt es noch weitere Projekte, an denen du arbeitest?

Lorena: Mit unser Gruppe Raíces ist die Idee, weiterhin „MARTA“ aufzuführen und auch andere Wege zu finden, Motive aus dem Stück zu vertiefen, in Workshops zum Beispiel. Als Schauspielerin und Regisseurin arbeite ich aber auch an anderen Projekten, die Teil vom AQUItheater sind. Mit einer aus der Gruppe mache ich gerade ein Soloprojekt. Ein Tanztheater über Liebe und Distanz und noch viel mehr. „MARTA“ aber ist das größte Theaterstück zurzeit.

 

Fühlst du dich mehr als Aktivistin oder Künstlerin?

Lorena: Beides. Wir nutzen das Theater als politisches Werkzeug, um ein wichtiges Thema auf der Bühne zu verteidigen. Es war mir immer wichtig, das zu verbinden. Als ich Theater studiert habe, hatten wir immer diese unterschiedlichen Rahmen von Theater und da habe ich mich entschieden, politisches Theater zu machen. Bertolt Brecht ist zum Beispiel einer meiner Inspirationen. Deshalb arbeiten wir auch mit Elementen von Brecht. Vor allem aber mit der Idee, dass das Publikum immer dazu eingeladen ist, zu reflektieren und zu verstehen, was in der Gesellschaft passiert.