Von Leonard Haverkamp
Wisst ihr, was ein Ufersong ist? Ich auch nicht. Autor Markus Riexinger versprach mir Antworten. Im Wedding angekommen, wehte eine Ukulelenmelodie einen der Darsteller des „Gorgonzola Blues“, Florian Wandel, zu uns in den Kulturpalast. Ein Gespräch über 0,3 Millisekunden lange Rezeptorenübertragungen und die Relevanz der Freien Szene.
Markus, Florian, wenn ihr den „Gorgonzola Blues“ habt, schmeckt das dann eher würzig oder eher cheesy?
Markus: Beides. Ich habe jetzt lustigerweise auch gleich an einen bestimmten Teil des Abends gedacht. Weißt du, welchen Teil ich meine, Flo?
Florian: Höchstwahrscheinlich, ja.
Markus: Den, wo du den Conférencier spielst.
Florian: Ja? Achso, der! Okay…
Markus: …der ja immer sehr unterschiedlich ausfällt. Wo diese beiden Worte doch ganz passend sind?!
Florian: Cheesy oder würzig? Ehrlich gesagt machen diese Adjektive mit mir gar nichts.
Markus: Mit mir hat es jetzt irgendwas gemacht, diese beiden Wörter zu hören. Würzig ist für mich so was Scharfes, was Reinstechendes irgendwie. Und cheesy, da dachte ich sofort an was Geschmolzenes (Florian zieht einen imaginären Kaugummi zwischen seinen Fingern auseinander). Genau! Eher so das Langgezogene. Und du hast ja selbst schon gesagt, dass diese zehn Minuten mit die längsten...
Florian: Furchtbar! Ganz furchtbar. (lacht)
Markus: ...die längsten zehn Minuten deines Schauspieler-Daseins sind.
Florian: Also würzig kann man sagen. Wenn man das ganze Stück im performativen Charakter betrachtet, im Gesamten. Dann hat es schon eine gewisse Würzigkeit. Mit der Erwartungshaltung, mit der man reingeht, kommt man mitnichten wieder raus. Obwohl es im Nachgang jetzt nicht die Schärfe hat, wie ein Heiner Müller, wo man jetzt erst mal so drei Tage dran arbeiten, drüber nachdenken und dann noch mal sechs Jahre studieren muss, bevor man dann versteht. Man bekommt doch so viel Substanz und Material, dass man nicht ungewürzt aus dem Programm geht.
Auf der PAF-Seite steht: „GORGONZOLA BLUES ist ein Sprechtheaterabend in drei Teilen, der die Facetten zwischen Komplexität und Improvisation offenlegt“. Wie muss man sich das vorstellen?
Markus: Es ist so: Ein Teil des Abends verläuft immer anders. Es gibt für diesen Teil bestimmte Vorgaben, an die sich die Darsteller*innen zu halten haben. Das geht nicht anders. Aber trotzdem haben sie da einen Freiraum. Das ist dann wirklich immer anders. Und das ist eben dieser zweite Teil, den ich schon angesprochen habe, der mir gleich zum Stichwort cheesy eingefallen ist.
Der Teaser zum Stück liest sich generell etwas kryptisch. Worum geht es denn so grob?
Markus: Ich tu mich ein bisschen schwer, auf die Frage zu antworten. Wenn ich etwas schreibe, dann sehe ich das wirklich schon beim Schreiben genau so vor mir, wie ich es inszeniert haben will. Form und Text gehören für mich dermaßen untrennbar zusammen, dass ich es tatsächlich gar nicht sagen könnte, wie ich die Handlung jetzt erklären sollte, weil es für mich eben so zusammenpappt.
Florian: Ein Riexinger (nickt mit dem Kopf zu Markus Riexinger) ist tatsächlich relativ eigen. Das ist für mich absolut korrekt, dass Form und Text im Prinzip eine Einheit bilden. Also der Riexinger per se ist nicht nur der Text als Substanz. Sondern der ganze Aufbau des Abends – egal in welcher Stilistik er gehalten ist – gewinnt einen performativen Charakter. Und ich glaube, was der Herr Riexinger zurecht nicht mag, ist, wenn man danach fragt, was der Sinn seiner Stücke ist.
Dann wenigstens ein Beispiel?
Florian: Ortswechsel finden teilweise einfach nur über Textsubstanz statt und sonst über nichts anderes. Aber trotzdem ist er absolut plausibel, nachvollziehbar und realistisch. Aber er ist nicht vollzogen worden. Er ist halt einfach da. Und das ist tatsächlich das, was vielleicht so den Riexinger in der Grundsubstanz ausmacht. Es ist irgendwie da, aber es ist so erschreckend unmittelbar. Also so ein bisschen wie ein LSD-Trip – ich weiß nicht, ob man das mit reinnehmen darf (zeigt auf das aufnehmende Handy).
Schauen wir mal.
Florian: Das, was du erlebst, setzt halt so unmittelbar an. Es gibt dazwischen keine Körperlichkeit, es gibt keine Wege. Das Einzige, was zwischen dir und deiner neuen Realität liegt, ist eine 0,3 Millisekunden lange Rezeptorenübertragung – und das war's! Es gibt nichts dazwischen, was irgendwie an Substanz zwischen diesen Realitäten liegt. Und das ist vielleicht das, was den Riexinger so ein bisschen ausmacht und durchaus auch den Zauber dieser Stücke.
Markus, du hast gesagt, dass für dich Schreiben und die Bühne Hand in Hand gehen. Wofür brauchst du als Autor die Bühne?
Markus: Ich schreibe eigentlich nur noch für die Bühne, weil ich diese Lebendigkeit brauche. Für die Schublade schreiben, das finde ich unbefriedigend. Ich hab ja auch auf Papier veröffentlicht. Aber ich brauche diese Lebendigkeit, dass ich weiß: Mit diesem Text, den ich schreibe, da passiert was damit.
Wen sprecht ihr mit dem „Gorgonzola Blues“ an?
Markus: Es ist tatsächlich so, dass ich mir beim Schreiben oder Konzipieren darüber keine Gedanken mache. Ähm, ja… das ist wirklich schwer zu beantworten.
Andersrum gefragt: Bei wem hast du gedacht – toll, dass das diese Leute auch erreicht?
Markus: Also diese Reaktion hatte ich wirklich schon oft. Es ist schon eigen, was ich mache. Danach denke ich dann so: hmm. Und dann kriege ich aber wirklich ein geiles Feedback und freue mich, weil ich denke: Es hat doch funktioniert!
Florian: Unser Publikumsmix ist unglaublich groß. Das Spannende ist, dass gestandene Theatergänger*innen hier rausgehen und sagen: Was war das? Was soll ich damit? Und es gibt Leute, die noch nie etwas mit Theater zu tun hatten und die danach ganz spannende Punkte anbringen.
Markus: Aber ich möchte sagen, es kommen auch gestandene Theaterleute, die begeistert sind.
Florian: Natürlich! Selbstverständlich, das meine ich. Es gibt nicht die eine Schicht, die sagt: Boah! Man kann was damit anfangen oder nicht.
Markus: Ich kriege wirklich ganz unterschiedliche Rückmeldungen. Es kamen auch Leute zu mir, die diese Sinnfrage gestellt haben und sie von mir geklärt haben wollten – was ich aber nicht möchte und höflich ablehne. Totale Begeisterung gab es auch. Aber es gab auch totale Verwirrung.
Florian: Es gibt aber niemanden, der sein Geld zurückwill. Der wirklich so unzufrieden ist mit dem Abend, dass er sagt: Was fürn Rotz!, oder aufsteht und geht. Das hatten wir bisher noch nicht.
Wofür braucht Berlin die Freie Szene?
Florian: Meine persönliche Haltung zu Kunst und der Kunstszene ist: Der Künstler hat sich der Materie, dem, was die Kunst auszudrücken wünscht, unterzuordnen. Und ich finde, gerade an den großen staatlichen Häusern schwappt diese Art der Unterordnung gerne in eine selbstdarstellerische Überzeugungshaltung über. Ich will jetzt gar keinen angreifen und ich will ja auch diese Häuser um nichts missen. Aber es sind, wenn man das jetzt an einer Hand abzählt, halt fünf Meinungen, fünf Haltungen nebeneinander.
Und in der Freien Szene?
Florian: Was ich an der Freien Szene so stark finde, ist zum einen das Autodidaktische. Geld kriegt man ja eh nicht. Ob's funktioniert oder nicht, ist scheißegal. Ob du ein Stück hast, das schon existiert, oder dein eigenes machst, eigentlich auch. Aber du hast zig Fragestellungen, hast zig Interpretationen. Du hast unglaublich verschiedene Arten von Herangehensweisen, von künstlerischer Unterordnung und von Strömungen und Individualist*innen. Und du kannst dich so knallhart und mannigfaltig inspirieren lassen in der Freien Szene.
Markus: Ich hab so geile Sachen gesehen in der Freien Szene, die mich umgehauen haben. Das ist für mich der wichtige Punkt: Man kann die Qualität nicht festmachen daran, ob es jetzt eine staatliche oder eine freie Produktion ist. Deswegen finde ich das Performing Arts Festival so wichtig. Weil es der Freien Szene das Ansehen geben möchte, das sie verdient.