Von Anna-Dora Schellenberg
Ein sonniger Mittwoch im Mai. Das Künstler*innenduo Lorenz & D’Aprile hat mich eingeladen, sie im Café Wilke in Neukölln zu treffen. Während unseres Interviews reden wir über die Parallelen von Schauspiel- und Polizeiausbildung, die Krimi-Kultur Deutschlands und darüber, ob sich die blaue Mauer des Schweigens durchbrechen lässt.
Ihr habt euer Stück „ALLES IN ORDNUNG – vom Ende der Polizei“ letztes Jahr im TD uraufgeführt. Habt ihr nach Spielpausen manchmal den Gedanken: „Jetzt hätt’ ich es irgendwie doch gerne anders umgesetzt?“ Oder ist es, wenn es einmal fertig ist, endgültig fertig?
Charlotte: Ich habe das Gefühl, dass sich dieses „Krimi“-Thema, das der rote Faden ist, nicht groß verändert hat.
Jakob: Klar gibt es nach Fertigstellung manchmal diese Gedanken. Aber es ist ja bei jedem Stück so, dass man es immer nochmal hinterfragt und reflektiert.
Ihr arbeitet nicht zum ersten Mal zusammen. Wie habt ihr euch kennengelernt?
Jakob: Charlotte hat hier an der „Ernst Busch“ Schauspielregie studiert und ich in Wien Schauspiel. Kennengelernt haben wir uns dann aber in Berlin, und da haben wir auch unsere erste gemeinsame Arbeit gemacht: 2019 haben wir uns in der Brotfabrik Berlin mit Starimitator*innen beschäftigt. Und dann haben wir beim Nachwuchswettbewerb vom Wiener Theater in der Drachengasse gemeinsam ein Stück über Clowns gemacht. Währenddessen haben wir beide unser Diplom gemacht. In der Corona-Zeit kam dann noch ein gemeinsames Hörspiel dazu und dann unser Stück „Alles in Ordnung“ im TD.
Charlotte: Wir mögen eine ähnliche Arbeitsweise, in der viel mit dem Ensemble gearbeitet wird und wir aus dem, was gesprochen wird, und dem, was gelesen wird, dann Texte entwickeln. Im Fall von „alles in Ordnung“ haben wir gemeinsam die Interviews geführt.
Jakob: Das war aber auch das erste Mal, dass wir so gearbeitet haben. Bei dem Thema hat sich das einfach angeboten, auch weil es ja gerade so eine ganze Welt ist, in die man da eintaucht, ein eigener Kosmos.
Charlotte: Jakob war bis jetzt in Krimis immer nur Täter…
Jakob: (lacht) Ich habe selbst noch nie Polizisten gespielt.
Und dann habt ihr sowohl mit Polizist*innen als auch mit Schauspieler*innen Interviews geführt?
Jakob: Genau. Zuerst haben wir eigentlich nur Polizist*innen und Polizeischüler*innen interviewt, weil wir am Anfang noch gedacht haben, das Projekt konzentriert sich viel mehr auf die Polizeischule, die Ausbildung, und da haben wir Dokus gefunden, die uns angesprochen haben und Leute gesucht, die in Ausbildung sind.
Charlotte: Wobei es auch da schon den Gedanken gab, dass es Parallelen zur Schauspielschule gibt, weil es um dieses Performen geht und die Frage, wie ich in meine Rolle reinwachse. In den Interviews haben wir zum Beispiel gefragt, wie sehr der Krimi die Person und die Berufswahl beeinflusst hat. Denn das war unsere These, die sich dann auch bewahrheitet hat, dass viele wegen dieser Formate zur Polizei gehen.
Jakob: Aber auch, und weil sie tatsächlich in der Polizeiausbildung Szenen spielen, wo du einfach die Polizist*in spielst und andere Mitschüler*innen die Verdächtigen und Täter*innen spielen. In nachgebauten Wohnzimmern und Bankfilialen werden Situationen simuliert. Das kenne ich auch aus meiner Ausbildung
Charlotte: Die haben teilweise ganze Hallen, wo Straßenzüge nachgebaut sind, wie ein Filmset.
Jakob: Es gibt sogar eine Drehbühne, wo man in verschiedene Situationen reingedreht wird. Da haben wir uns gedacht, das muss unser Bühnenbild werden! (lacht) Was wir uns natürlich nicht leisten konnten.
Charlotte: Uns hat interessiert: Was bedeutet dieser Zusammenhang aus Fernsehen und Berufswahl für die Macher*innen von diesen Krimiformaten? Unser Rechtsempfinden ist stark durch diese Formate geprägt. Dass die Realität oft nicht so ist wie im Film, ist natürlich wahnsinnig frustrierend für viele Polizeianwärter*innen und ist vielleicht auch der Ursprung von Konflikten. Das Motiv, dass man auf der Suche nach „Action“ ist und sich in riskante Situationen begibt oder sie selbst hervorruft, wenn der Nervenkitzel ausbleibt, wurde zum durchgehenden Motiv.
Jakob: Das ist wirklich sehr stark vom Krimi geprägt, mit Verfolgungsjagden, bis hin zu Hausdurchsuchungen mit gezogener Waffe. Sowas könntest du im Beruf so niemals machen. Aber im Krimi wartet niemand, da wird zugunsten der Spannung alles an Bürokratie weggelassen.
Jakob: Mit dem Begriff Action konnten auch alle was anfangen. So nach dem Motto: „Action? Ja total, voll! Das ist mein Beruf!“ Da haben sie dann erst richtig aufgemacht und von den Situationen erzählt, die sie im Job gerne mal erleben würden.
Charlotte: Sie meinten auch, dass sie, wenn sie bei einer Prügelei ankommen, immer enttäuscht sind, wenn sich da nur zwei Leute kloppen.
Wenn man sich ansieht, wie viele Probleme es innerhalb des Polizeiapparats gibt, ist es sicher schwer, sich nur auf ein paar Themen zu beschränken, oder?
Charlotte: Ja, wir haben über viele Themen diesbezüglich gesprochen und uns schließlich auf das Thema Gewalt und Machtmissbrauch konzentriert, in diesem Fall gegen eine obdachlose Person.
Jakob: Und auf die Hierarchie und die Schweigekultur innerhalb der Polizei, die sogenannte „Blaue Mauer des Schweigens“. Da wird den Leuten im Studium schon gesagt: „Wenn dein Vorgesetzter sich daneben benimmt, kannst du eigentlich nichts machen.“
Charlotte: Mittlerweile gibt es Seminare, wo Student*innen dann gemeinsam sammeln sollen, was sie machen würden, falls sie zum Beispiel von Machtmissbrauch durch die Polizei erfahren. Damit ist es dann aber auch abgefrühstückt. Ein weiteres großes Problem ist die körperliche und seelische Überforderung im Berufsalltag. Die Polizei hat einfach viel zu viele Verantwortungsbereiche. Viele meinten in Interviews, die Polizei sei halt ein 24-Stunden-Dauerdienst für jeden Mist. Da wird alles übernommen, was andere Institutionen vielleicht nicht machen wollen und dabei sind die Personen gar nicht in allen Bereichen gut genug ausgebildet.
Was würdet ihr euch persönlich in Bezug auf diese offensichtlichen Probleme für die Zukunft wünschen?
Charlotte: Ich würde mir mehr unabhängige Stellen wünschen, an die man sich bei Machtmissbrauch wenden kann. Das Problem in Deutschland ist, dass die Polizei gegen die Polizei ermittelt und das zu nichts führt. Und gegen unabhängige Stellen wehrt sich die deutsche Polizei, weil es ihr natürlich das Machtmonopol nehmen und eine Kontrollinstanz schaffen würde. Das wäre aber die einzige Möglichkeit, das Problem besser in den Griff zu bekommen.
Jakob: Ich sehe da eher in meiner Verantwortung als Schauspieler oder als Künstler, den Krimi zu verändern, und vielleicht über die Veränderung im Krimi dann auf die Institution einzuwirken. Wenn wir anfangen würden, andere Krimis zu machen, in denen eben nicht die Polizist*innen unbedingt die Hauptrollen spielen oder die Identifikationsfiguren fürs Publikum oder fehlerfrei sind, sondern Polizeiarbeit auch anders und realistischer dargestellt wird.
Die Krimi-Kultur ist in Deutschland ja etwas ganz Besonderes. Jakob, wie siehst du das als Schauspieler?
Jakob: Die Krimi-Kultur ist in Deutschland wirklich sehr spezifisch. Dieses Paradox hat uns von Anfang auch sehr interessiert: Dass man oft Schauspieler*in wird, um, pauschal gesagt, eine Art von Widerstand zu leisten. Und dann ist das Höchste, was du in deinem Beruf erreichen kannst, Kommissar*in im Tatort zu werden – der Ritterschlag der Kulturszene, dann hast du es geschafft.
Habt ihr schon Pläne für weitere Projekte? Wo kann man euch dieses Jahr sonst noch sehen?
Charlotte: Wir bringen in der kommenden Spielzeit „Das Leben ein Clown“ am Theater Aachen raus. Da führen wir eine Auseinandersetzung mit närrischen Widerstandsfiguren weiter, die wir bereits 2021 begonnen haben. Wir schließen es aber auch nicht aus, ALLES IN ORDNUNG noch auf anderen Festivals zu spielen. Aktuell bleibt es definitiv!