Von Leonard Haverkamp

Beim Eintreten in den Festsaal Kreuzberg müssen die Meisten unweigerlich die Stirn senken: Man bahnt sich den Weg durch ein Dickicht aus Pflanzen, das eher einen Japanischen Garten als den Auftakt eines Theaterfestivals erwarten lässt. Hinterm Bambus warten Bierzelt- und Weingartengarnituren im gefliesten Hof, wie man sie von Ferienhausterrassen kennt. Holzplanken und Fritzkolaschirme verbreiten Festivalflair.


Auch wenn die meisten Produktionen anscheinend denselben Abend für die Generalprobe auserkoren haben, zeigt sich hier eine Menge neugieriger Gesichter. Generell ist dieser Auftakt des PAF 2023 mehr ein Abend unter Freund*innen als die große Gala. Entspannt, lässig, ohne den einen großen Bogen. Drinnen stellt sich zunächst das Festivalteam vor, dankt allen Beteiligten, schaut zurück auf die letzten Jahre und in eine ungewisse Zukunft – die Förderung endet 2024. Vielleicht lautet auch deshalb das Motto für 2023: Körper unter Spannungen.

Dragqueen Olympia Bukkakis, der die erste Bühne gehört, zeigt uns zunächst ihren Rücken. Für die Spannung sorgt der Bogen eines Cellos, der mit einem Dröhnen durch den Raum streicht. Wir hören Bachs Cello Suite Nr. 1 in G-Dur (wie weniger fachkundige Zuhörer*innen später erfahren). Das Ganze klingt aber mehr wie eine Magengrummeln (oder dessen spätere Daseinsform). „Bad Bach“, so nennt sie das. Wer sich nicht versehentlich aus der Klassik in die Freie Szene verlaufen hat, kann schmunzeln: Hier wartet kein Elfenbeinturm. Die ersten Körper entspannen sich. Ausgeblendet werden die Spannungsverhältnisse, in denen sich weite Teile der Szene bewegen, aber keineswegs. Mit einer Lipsync-Performance von „Let my people go“ warnt Bukkakis vor der Unterdrückung queerer Künstler*innen. Bereits in den 80ern gewannen sie an Aufmerksamkeit, dann kam die Aids-Krise.

Mein Körper gehört mir, dein Körper gehört dir. Alles dazwischen ist Verhandlungssache“, steckt FINNA dann die Grenzen des körperlichen Miteinanders ab. Ist doch klar! Dennoch erleben wir Übergriffe, Bodyshaming und eine alltägliche Überschreitung dieser Grenzen. FINNA rappt dagegen an – für körperliche Selbstbestimmung und Selbstliebe. Teilt ihren Schmerz und ihre Wut, aber auch ganz viel Liebe. Cool ist ihr zu kalt. Vom Publikum bekommt sie Feuerzeuge, Handytaschenlampen und einen konsensualen Mittelfinger. „Mein Body, meine Grenzen. Lass uns dancen!“

So klingt der Abend aus: kollektiv auf dem Dancefloor zu AZLAYs Elektro-Sounds, Körper unter Spannung. Oder in Entspannung, draußen in kleinen Grüppchen mit übereinandergeschlagenen Beinen. Ganz wie mensch will.