Von Tommy Lehmpuhl und Alicia Heyden
Vermutlich sind die Menschen in der Freienberger Straße schon gewöhnt an diesen durchaus komischen Anblick: Während sie sich zappelnd aus dem Fenster des Kulturpalast Weddings lehnt, ruft Anna Reinicke laut: „Zwei Schnecken teilen sich eine Banane!“ Hinten dran hängen Florian Wandel und Hilde Haberland, die sich anscheinend nicht ganz einigen können, ob sie Reinicke nun aus dem halb aus den Angeln hängenden Fenster werfen oder sie vom möglichen Sprung zurückhalten wollen. Wie auch: Ist ja nichts verabredet, sondern alles Impro, I mean, the showbusiness.
Mit „GORGONZOLA BLUES“ versprechen uns Markus Riexinger und sein Ensemble einen Abend, „der die Facetten zwischen Komplexität und Improvisation offenlegt.“ Heißt: Der Abend mit Riexinger-Texten besteht aus drei Teilen, von denen einer improvisiert wird. In den 50 Minuten geht es um Rote Beete, Schuhe, Heroin und Sterne. Sehr viel um Sterne. Aber auch um Liebe, ums Kochen, um Ufersongs, um scheinbar so vieles und schließlich doch irgendwie… nichts.
Im kleinen Saal des Kulturpalasts Wedding befinden sich im Zuschauer*innenraum eine Sofagarnitur und ein paar Bänke. Mit der Bar direkt im Rücken herrscht niedliches Wohnzimmerfeeling. Auf der Bühne hingegen geht es minimalistisch zu: zwei Stühle an einem kleinen, quadratischen Holztisch – mehr braucht es nicht. Denn wenn das Duo aus Riexinger und Wandel die Bühne betritt, dann nimmt es den gesamten Raum ein.
Durch ihre gegensätzlichen Energien – Riexinger zurückgelehnt mit ruhiger Stimme und einer erwachsenen Aura, Wandel voll Elan, mit hoher Stimme und ständig in Bewegung – entsteht eine Dynamik, die es dem Publikum nicht erlaubt wegzugucken oder wegzuhören. Dabei sitzen sich die beiden im ersten Teil einander nur am Tisch gegenüber. Sie vergleichen ihre Ufersongs, erzählen sich Neuigkeiten aus den Lokalnachrichten, von der verstorbenen Mutter und dem Nussknackerbaum. „Ich liebe dich“ unterbricht Wandel einmal das Spitballing.
Riexingers Texte entpuppen sich als Konversationen, bei denen man sich immer wieder fragt: „Ist das jetzt schon der Impro-Teil?“ Dennoch hinterlassen sie nicht das Gefühl, das Stück nicht verstanden zu haben oder noch Tage danach nach einem tieferen Sinn suchen zu müssen. Wenn Hilde Haberland zum ersten Mal die Bühne betritt und unkommentiert, mit dem Rücken zum Publikum, die Wand anstarrt, dann nimmt man das so hin. Das Publikum darf lachen, es darf zuschauen, zuhören und am Ende einfach so viel Komplexität in das Ganze lesen, wie es mag.
Was dort auf der Bühne passiert, ist unweigerlich komisch. Im Improvisationsteil, in dem nur die zwei Sätze „Zwei Schnecken teilen sich eine Banane“ und „There is no business as the business of the show, I mean, the showbusiness“ fallen, setzt sich Riexinger als Souffleur ins Publikum. Mit dem Wort „Schnecke“ hilft er dem Ensemble aus, als sie einen vermeintlichen Texthänger haben. Weiterhin fallen Sätze wie „Dort, wo das Heroin gespritzt wird, da saufe ich“ und während der Konversation sagt Riexinger das Ende der einzelnen Akte an. Regelmäßig kommt das Ensemble zusammen, um mit den Worten „Fünf Minuten Pause“ von der Bühne zu verschwinden. Das alles wirkt wie ein lebendig gewordenes surrealistisches Gemälde, das nicht aufhört, immer mehr Abstraktionen und Hürden für den Verstand zu klecksen.
Mit „GORGONZOLA BLUES“ haben Riexinger und Ensemble einen charmanten Abend zwischen Dada und Gaga auf die Beine gestellt, der ordentlich das Gehirn durchblutet, ohne zur Überinterpretation aufzurufen. Alles, was passiert, passiert buchstäblich auf einer Ebene mit dem Publikum. Riexinger hat einen Ufersong, Wandel hat einen Ufersong, und wie sie so schön sagen: „Wir alle haben unseren eigenen.“ Natürlich bleiben solche Momente kryptisch. Aber es werden auch keine hohen Töne gespuckt. Hat das alles überhaupt Hand und Fuß? Es ist Jacke wie Hose! Will man wissen, was in Riexingers Kopf beim Schreiben dieser Texte vorging? Ja. Und wie es Anna Reinicke, Hilde Haberland und Florian Wandel während der Improvisation erging? Welchen Zugang sie zu Riexingers Texten finden konnten? Definitiv. Aber dafür ist noch Zeit. „Wollt ihr was Trinken?“, fragt Florian das Team vom Blog.
Fünf Minuten Pause.