She She Pop spielen „Hexploitation“ erstmals vorm vollbesetzten HAU2.

Von Timo Koch

“Also ich bin komplett raus aus dem Geschäft”, antwortet Berit Stumpf auf die Frage, ob sie hin und wieder noch menstruiere. Dafür habe sie nun jede Menge Zeit, um sich anderen Dingen zu widmen und meint damit die Alchemie. Was sie zusammenbraut, ist die sogenannte Flugsalbe, die, wird sie an die richtigen Stellen am Körper einer Hexe gerieben, zur Verwandlung in ein Tier führen soll. Die Salbe erlaube es den Hexen aus ihrer Haut zu fahren, davonzufliegen. Ein Bestandteil der Salbe ist Menstruationsblut, aber ausgerechnet das ist schwer zu bekommen, denn auch wenn Berit Stumpf die einzige ist, die komplett raus aus dem Geschäft ist: die anderen drei, die sie beim Herstellen der Salbe gerne unterstützen wollen, können für die Zutat nur “einen ungewissen Liefertermin” zusagen. Auch im Internet existiere kein Markt für die Substanz und so versucht Lisa Lucassen eine letzte Sache: Mit einer Blockflöte beugt sie sich über den Schritt der liegenden Johanna Freiburg und spielt einige Töne, um das benötigte Menstruationsblut heraufzubeschwören.

Mit mir lacht der halbe Saal im voll besetzten HAU2. Bereits seit 2003 kooperieren das Kollektiv und das Hebbel am Ufer kontinuierlich und sind einander eng verbunden. Ich frage mich, wie sich der Abend wohl für Johanna Freiburg und Berit Stumpf anfühlt, die bei der Premiere von “Hexploitation” gemeinsam mit zwei anderen Mitgliedern des Kollektivs – Sebastian Bark und Mieke Matzke – auf der Bühne standen. Damals, im September 2020, waren es gerade mal rund 40 Besucher:innen, die über die (selbst-)ironische und sehr freizügige Performance der She She Pops lachen konnten. Mehr Publikum ließen die Schutzmaßnahmen im ersten Pandemie-Jahr nicht zu.

Heute sind mit ihnen Lisa Lucassen und Ilia Papatheodorou zu sehen. In einem Setting, das sich als eine Mischung aus Filmset, Labor und Heimwerkstatt deuten lässt, zeigen uns die vier Performerinnen abwechselnd ihre intimsten Körperstellen; das Ganze wird zudem stets auf eine oder mehrere der zahlreichen Leinwände geworfen, die den gesamten Publikumsraum in einem 270 Grad weiten Rondell umspannen.

Ilia Papatheodorou verrät uns in ihrem Anfangsmonolog, wohin die Reise geht. Sie spricht von dem Film “Das Haus der Lady Almquvist”, einem Psychothriller aus den 1940er Jahren, aus dem später der Begriff des “Gaslighting” hervorgeht: Die gezielte Verunsicherung der weiblichen Protagonistin durch ihren Ehemann, der sie beständig an ihrer Wahrnehmung zweifeln lässt, führt zu Ihrem Nervenzusammenbruch.

Die Performerinnen zitieren und karikieren über die Dauer des Abends zahlreiche Hollywood-Filme aus dem Psycho-Biddy-Genre, auch “Hagsploitation”-Filme genannt. “Hag”, das meint eine gealterte, meist bösartige Frau – die Parallelen zum deutschen Begriff “Hexe” sind offensichtlich. In den Filmen “verbrennt” Hollywood seine ehemaligen weiblichen Stars. Da sie nicht mehr als Subjekte der Begierde inszeniert werden, müssen sie als psychotisch-wahnsinnige Vetteln herhalten. Mehr gesteht ihnen eine männlich-dominierte Erzählkultur nicht mehr zu.

Hiergegen wendet sich “Hexploitation” mit viel Einfallsreichtum, bissigem Charme und trockenem Humor, der mich unzählige Male zum Lachen und in Verlegenheit bringt. An diesem Abend bin ich umringt von weiblich gelesenen Besucher:innen. Darf ich lachen, wenn Berit Stumpf die Frage “Sind das die Scheinwerfer oder habe ich gerade eine Hitzewallung?“ in den Publikumsraum wirft? Beherrschen kann – und will – ich mich da jedenfalls ebenso wenig wie in dem Moment, in dem Johanna Freiburg auf einer Art Krankenhausbett von den anderen Performerinnen auf die Mitte der Bühne gerollt wird und sich in ungläubigem Tonfall wundert: “Ist das jetzt mein Auftritt als menopausale Frau?”

Die Auseinandersetzung der Performerinnen mit dem eigenen Altern, dem Altern des weiblichen Körpers im gesellschaftlichen Kontext und die sogenannten Wechseljahre sind Leitmotive des Abends und die männliche Fremderzählung, die diesen Prozess begleitet und deuten will: “Wir befinden uns in einer Erzählung, in der das Ausbleiben der Menstruation für die Frau gleichbedeutend ist mit der Schwelle zur Hässlichkeit und zwar äußerlich wie innerlich”.

Für einen Erklärungsversuch, wie sich dieses Narrativ zusammensetzt und wie es dazu gekommen ist, holt Papatheodorou weit aus. Und teilt in alle Richtungen aus: Schilderungen von Hexenprozessen, die Ungleichheit der Geschlechter als Geburtsstunde des Kapitalismus, Kulturkritik in allen Farben und zwischendurch immer wieder absurd-komische historische Fakten. Ich lausche gebannt. Ganz schön rasant ist der Wechsel – trotzdem gelingt für mein Empfinden die Kontextualisierung der Erzählfragmente einwandfrei.

Wir erfahren, dass die Wechseljahre in vermeintlich wissenschaftlichen Publikationen über die letzten Jahrzehnte mitunter als “Tod der Frau in der Frau” oder als “Verfall bei lebendigem Leib” bezeichnet werden. Gruselig. Und als dann später die Erzählungen von den letzten Hexenverbrennungen folgen, holt mich mal wieder der Gedanke ein, dass wir in einer Wirklichkeit leben, mit der kein Horrorfilm, ob mit Hexen oder ohne, mithalten kann.

Wie entzieht Frau sich nun der drohenden gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit nach dem Ende der Wechseljahre? Im großen Finale entziehen sich die vier “Hexen” der Beantwortung dieser Frage. Die Herstellung der Flugsalbe ist geglückt! Energisch reiben sich die She She Pops damit ein, während sich auf den Leinwänden um sie herum den Saal in einen finsteren Wald verwandelt. Grotesk zusammengesetzte Körperteile, die sich auf unheimliche Weise bewegen, erscheinen darin, während die “Hexen” den Refrain aus Lana Del Reys “Will you still love me when I'm no longer young and beautiful?” anstimmen und über mehrere Minuten wiederholen.

Der mich umgebende Wald, der mittlerweile gefüllt ist mit Körperteil-Monstern beginnt, sich unter dem lauter werdenden Gesang zu drehen. Schauer laufen mir über den Rücken und der Song macht mich leicht melancholisch. Dann werde ich in den letzten Sekunden der Performance vom Bild der vier Verwandelten erlöst. Der Wald ist verschwunden und auf den schwarzen Leinwänden entschwinden auf stilisierten Vogelkörpern die grinsenden Köpfe der Hexen. Ich lache. Dann bebt das HAU2 unter dem donnernden Applaus von weit mehr als 40 Besucher:innen. So muss das sein!