Den Gaul vom Sockel holen
Von Leonard Haverkamp
Diese Bühne ist begehbar und sie wird begangen: Beim Herabschreiten der Treppen im HAU 3 sieht man unten durch den Nebel drei Figuren. Es sind Sarah Ama Duah, Naomi Boima und Rositsa Mahdi – versteinert unter türkisem Licht. Ihre Posen erinnern an klassische Denkmäler: Eine von ihnen thront auf einem Ross, die anderen beiden stehen mit erhobenem Haupt zu ihren Seiten. Nur sehen wir hier keine schnauzbärtigen Preußen, sondern drei Schwarze Frauen. Durch den Raum wummert ein bröckelndes Echo wie aus einer Tropfsteinhöhle. Bis zu einem weißen Tape auf dem Boden darf man an die lebende Installation herantreten und kann sogar dem mattschwarzen Pferd ins Maul schauen, ohne dass die Reiterin eine Regung zeigt.
Sarah Ama Duahs „to built to bury to remember“ zerlegt die öffentliche Wahrnehmung von Denkmälern und zeigt, was sie eigentlich sind: Pferde, Menschen, Ideologien. Der Abend ist Teil der PAF-Nachwuchsplattform „Introducing…“, die Newcomer in der Freien Szene fördert – jedes Jahr werden vier Entwürfe ausgewählt und während des Festivals umgesetzt.
Während das Publikum brav seine Plätze einnimmt, erwachen die Statuen zum Leben. Glieder regen sich unter den Mänteln aus goldenem Latex. Spielerisch testen sie die Grenzen des Materials. Immer wieder bläht sich der Stoff auf, wie bei einem pulsierenden Furunkel, das zu platzen droht. Dann entweicht die Luft und das Material findet seine alte Form wieder. So entstehen immer neue Plastiken: Mal taugt der Stoff seinem Monument, wenn er zum Beispiel in wehenden Falten auf dem Rücken der Reiterin herunterfällt. Mal deformiert er es und fällt wie ein geplatzter Ballon darauf zurück. In diesen Momenten zeigt sich, dass alle drei Statuen etwas vor ihrem Bauch tragen.
Gelassen legen die Darstellerinnen ihre „Plazenta“ ab. Die „Schwangerschaften“ entpuppen sich als ein Pickelhelm (wie man ihn sonst auf dem Kopf einer Bismarck-Statue erwartet), ein Stillleben aus Plastikobst (welches sich das von seinem Sockel gestiegene Monument um den Hals legt) und ein silber-schwarzer Glaspferdekopf (den die Besitzerin einfach beiseitestellt). Unter der Vergoldung tragen alle drei Darstellerinnen Alltagskleidung – als könnten sie, gelöst aus ihrem statischen Dasein, jetzt wieder ihrem täglichen Leben nachgehen. Im Hintergrund erwacht jetzt auch das Pferd zum Leben: Auf einer Leinwand, auf der bislang Trümmerteile durch einen schwarzen Raum waberten, trabt sein weißer Schatten durch das Nichts.
Langsam finden die lebendig gewordenen Statuen zueinander, um wieder kurz in neuen Posen zu verharren. Immer wieder werfen sie dabei vorwurfsvolle Blicke ins Publikum. So, als sei man hier für ihre Versteinerung mitverantwortlich. Spätestens als sie den Spieß umdrehen, ihren Mund öffnen und anstelle einer Anklage ein drittes Auge zum Vorschein bringen, wird deutlich, wie fesselnd Blicke sein können. Erst als die Darstellerinnen ganz nah an das Publikum herangetreten sind, können wir sicher sein, dass es sich nicht um kleine Kameras handelt, die uns selbst zum Zeitzeugnis gemacht hätten. Puh!
An diesem Abend stimmt so einiges. Auch, weil gar nicht so viel passiert. Sarah Ama Duahs Verschmelzung von Performance und Bildhauerei haucht ihren Monumenten Leben ein, lässt Raum für Interpretationen und Gedanken, ohne die Leerstellen zu überspielen. So kann sich hier einiges zeigen: Ein Geist, der Geschichte festhält und der, wenn man ihm die Luft rauslässt, nichts ist als die Summe seiner Zeugen. Unweigerlich muss man sich fragen, wer „unsere“ Geschichte bezeugen darf, wen wir ins öffentliche Auge stellen – und welche Stimmen stumm bleiben.
Dass auch historische Monumente die Zeit nicht überdauern müssen, sehen wir in den letzten Jahren immer öfter, wenn Anti-Rassismus-Aktivist*innen koloniale Denkmäler von ihren Podesten holen oder wenn vielerorts gerade sowjetische Denkmäler abgeschafft werden. Dass es bei der Bezeugung von Geschichte um mehr geht als das Stehenlassen (vielleicht mal eine Infotafel dranschlagen?) oder Abreißen von historischen Denkmälern, zeigt uns „to built to bury to remember“.