Du gehörst dir
Von Sara Castro
„99 Prozent Garantie beim Erwerb des Sonderprodukts”, preist die Schauspielerin auf der Bühne „die perfekte Frau“ an. Sie bewegt sich wie ein Roboter und trägt eine Schürze, die einen nackten Frauenkörper zeigt. Ihre Augen sind fast geschlossen; immer lächelnd zeigt sie sich dem Publikum. Währenddessen schlüpfen die anderen zwei Schauspielerinnen in die Rolle der Männer, für die die Werbung gemacht wurde. Das Produkt ist „lieferbar“, „lässt mit sich alles machen", erfüllt alle Wünsche des Mannes.
Die Szene gehört zu den eindrücklichsten in „MARTA“, das Lorena Valdenegro vom Theaterensemble „Raices“ des AQUI Theater im Oyoun inszeniert hat. Innerhalb einer Stunde setzen sich die vier Schauspielerinnen in ihren imposanten pinken Overalls und schwarzen Doc-Martens-Schuhen mit den Themen Feminizid, Vergewaltigung und Gewalt gegen Frauen auseinander. So werden sie zu dem einen Prozent, dem es gelingt, dem braven Idealbild der Frau eine wütende Alternative entgegenzusetzen.
Das Bühnenbild besteht aus zwei offenen Kabinen auf Rollen, die immer wieder umfunktioniert werden. Mal dienen sie als kleine Einzelbühnen, auf denen zwei Szenen gleichzeitig ablaufen. Mal verwandeln sie sich in eine einzige Bühne, auf der alle Schauspielerinnen auftreten.
Gleich zu Beginn machen die Spielerinnen klar, um was es geht: Um Marta, 29, die getötet wird, weil sie sich wehrt. Und um Camila, ein Mädchen, das auf einer Berliner Party vergewaltigt wird. Zwei Frauen, zwei Geschichten, die für unzählige Opfer, unzählige Täter auf der ganzen Welt stehen. Es gibt keine Grenzen in dieser von Männern dominierten Gesellschaft. Keine Frau ist davor geschützt Gewalt zu erleben, auch jene nicht, die bereits ihre Erfahrungen gemacht haben, die kämpferisch sind.
Das illustriert Valdenegro mit sehr unterschiedlichen Szenen. Stellt sie anfangs noch das Klischeebild aus, das vermutlich viele Männer von Frauen haben – dauerlächelnde Barbieprinzessinnen –, werden die Bilder mit Verlauf des Abends stärker. Einmal ertönen Songs wie „Eres mía" (Du gehörst mir) des Reggaeton-Sängers Romeo Santos oder „Rude“ der kanadischen Band Magic, in deren Texten Frauen abgewertet und objektifiziert werden. Dazu tanzen drei Schauspielerinnen ausgelassen, setzen sich Masken auf und übernehmen die Rolle von Tätern, die sich von hinten den Frauen nähern. Sofort ist man drin in dieser Situation, diese Typen loswerden zu wollen, weil man sie kennt.
Währenddessen steht eine weitere Spielerin auf der linken Seite der Bühne auf einem Stuhl und hält riesige weiße Blätter in den Händen, auf denen Aussagen stehen wie: „Ich will eine stille Frau, die nichts sagt", „Dich ins Bett zu kriegen ist einfacher als zu atmen" oder „Wenn ich dich misshandle, gebe ich dem Alkohol die Schuld". Die Lieder werden schneller, steigern sich ins Unerträgliche. "Hört auf mit der Musik!" schreien die Frauen verzweifelt, bis sie verstummt.
Dann erzählt der Abend die Geschichte von Camila, die auf einer Party in der Nähe des Schlesischen Tors gefragt wird: „Wahrheit oder Pflicht?“ Pflicht! Zwölf Hände auf Camilas Körper. Zwei Sekunden zuvor tanzte sie noch auf der Tanzfläche – plötzlich liegt sie zerstört am Boden. Sie wurde vergewaltigt, und wir Zuschauer*innen sind die einzigen Zeug*innen. Nicht weit entfernt liegt Marta tot auf dem Boden. „Zieh deinen Rock hoch, du Schlampe!“, haben sie zu ihr gesagt. Aber sie hat es nicht getan.
Der Abend endet mit einem Ritual, das von den Schauspielerinnen geleitet wird, eine Atemübung, durch die die im Raum angesammelte Energie fließen kann. Man verlässt den Raum nicht unbelastet, doch mit dem Gefühl begleitet zu sein. Denn es geht nicht nur darum, einen Raum für alle Frauen zu schaffen, um unsere Geschichten zu teilen, uns gegenseitig zu unterstützen. Sondern auch darum, Heilung zu finden.