Garten der Lust
Von Sophie Schultz
Das Geräusch von sanft plätscherndem Wasser, ein Sternenhimmel aus reflektierenden Glasscherben, bei wabernden neon-fluoreszierenden Licht – In der Performance „we are all made of stars“ erhaschen die Zuschauer*innen durch eine Endoskopkamera Einblicke in eine Unterwasserwelt. In ultrascharfen Nahaufnahmen nimmt Freddie Wulf uns mit auf seine Reise. Wir erforschen haarige Berge, blaue Bauchnabellagunen und sehen Blumen aus Freddies Körper erblühen.
Es ist eine so fremde wie vertraute Welt, die Freddie Wulf hier präsentiert und damit als eine von vier Produktionen für die „Introducing...“-Reihe beim Performing Arts Festival Berlin ausgewählt wurde. Der Hochzeitssaal der Sophiensæle gleicht einer tropische Spa-Oase. In der Mitte der Bühne steht eine Badewanne, umgeben von Efeuranken, Palmen und atmosphärischen Licht – eine Reise in eine den Zuschauer*innen unbekannte Welt beginnt, die Freddie in der nächsten Stunde wie mit einer Lupe erforscht. Als die Zuschauer*innen in den Hochzeitssaal eingelassen werden, liegt er bereits entspannt im Wasser, den Kopf auf ein muschelförmiges Kissen gebettet. Neben ihm stehen allerlei farbige Tinkturen bereit, mit denen er später einzelne Körperpartien einfärben wird. Sehen kann ich von der ersten Reihe nur seinen Kopf. Freddie Wulf ist ein transmaskuliner Künstler, der viszerale und visuelle Performances macht. Er interessiert sich für Empfindungen, Verkörperung und Selbstwahrnehmung.
Musikalisch wird Freddie von Alicia Jane Turners Live-Sound-Score begleitet. Während der Performance nimmt sie zum Beispiel die Klänge auf, die bei Berührungen der Haut oder der Haare entstehen, auch ihre Atemgeräusche. Die verfremdeten Töne spielt sie in Endlosschleife ein und reichert sie mit Ambientklängen sowie Gesang an. Diese Tonkulisse ist mit Freddies Bewegungen synchronisiert und ergibt eine Erfahrung, die alle Sinne anspricht.
Die Nahaufnahmen von Freddies Körpererkundung werden auf eine große Leinwand im Hintergrund der Bühne projiziert. Bei jeder Neueinstellung der Endoskopkamera ist zunächst unklar, was wir auf der Leinwand sehen: Ist das eine neongrüne Tentakel oder ein Brusthaar? Zunächst undeutliche Farben und Formen erweisen sich bald als deutliche Abbildungen von Haaren und Moosen. Da die Zuschauer*innen nur Freddies Kopf sehen können, wirken die abgebildeten Nahaufnahmen aus der Badewanne wie eine geheime Expedition. Freddie schaut dabei hinüber zur Leinwand, sieht den Mikrokosmos seines Körpers in Großaufnahme, wodurch die Intimität der Szenerie noch verstärkt wird.
Zum Schluss der Performance erwacht Freddie, streckt sich, lässt seine Muskeln spielen und wäscht sich wie nach einer scheinbaren Neugeburt den Körper. Mit klarem Blick schaut er direkt ins Publikum, steigt aus der Wanne, präsentiert anmutig seinen nackten Körper und verlässt auf allen Vieren den Saal. An diesem sinnlichen Abend zeigt Freddie den Besucher*innen der Sophiensæle eine starke Performance und: die Lust am eigenen Körper.