Im Kopfkino

Michael Jenitschonok erzählt in der Brotfabrik von der Pflege und fragt: „who cares“?

Von Alicia Heyden

Andi mag Fußball. Ganz besonders Hertha. Er hat schönere Brüste als Heidi Klum und wickelte Frauen einst mit Leichtigkeit um den Finger. Oberkommissar war er, in Berlin-Weißensee, mit Berliner Schnauze. Nicht einmal vor funkensprühenden Verfolgungsjagden mit Bankräuber*innen schreckte er zurück. „Andi, Andi, Superstar, Ober-, Oberkommissar“ singt Michael Jenitschonok am Akkordeon. Er steht allein auf der Bühne. Andi ist tot.


In „who cares“ erzählt Jenitschonok vom Alltag in der Pflege. Seinem eigenen Alltag: Wenn er nicht als Performer auf der Bühne steht, arbeitet er als Beatmungspfleger. Auch von Andi, der die Nervenkrankheit ALS hat und sich nicht eigenständig bewegen oder sprechen kann. Es geht um die einzigartige Beziehung der beiden, ihren gemeinsamen Alltag, die Probleme, Fragen, Möglich- und Unmöglichkeiten solch einer Verbindung, über die scheinbar keiner so richtig sprechen will. In „who cares“ ergreift Michael Jenitschonok das Wort. Für in der Pflege tätige Menschen, Pflegebedürftige, Angehörige, für sich und für Andi.

Am Ende der 80-minütigen Sprechperformance möchte man gar nicht glauben, dass das alles eine One-Man-Show war. Jenitschonok liegt auf dem Boden der Brotfabrik-Bühne, das Akkordeon auf dem Bauch, den Kopf nach rechts geneigt. Er erzählt, dass er mal wieder zum Zelten in den Norden möchte, ganz allein. Dann dreht er lediglich den Kopf auf die andere Seite und präsentiert dem Publikum: Andi. Berlinernd und großtönend schwärmt er von seinen Reisen nach Kuba, da will er nochmal hin. Er erzählt von seiner Rita, die er im vollgequalmten Auto über den Berliner Ring kutschiert und davon, wie Michael ihm anfangs zu schüchtern war. Das Publikum kriegt keinen Andi-Steckbrief, es lernt ihn kennen. Allein durch sein Berlinern macht Jenitschonok uns zu Beifahrer*innen seiner Reise in die Zeit mit Andi und noch viel weiter – in Andis eigene Vergangenheit.

Dabei hängt man ihm durchgängig an den Lippen, die ein großes Repertoire an Dialekten und Akzenten aufweisen. Denn im Handumdrehen ist er nicht mehr Michael Jenitschonok, sondern Andrea Berg. Und er ist gar nicht in der Brotfabrik, sondern im ZDF-Fernsehgarten, wo er den Hit „Die Gefühle haben Schweigepflicht“ performt. Dann ist er plötzlich eine Leipziger Zoowärterin, die den Zuschauenden der ARD erzählt, wie wichtig Bewegung und Gehirnjogging für Affen seien. Und vielleicht ist er auch Manuel Neuer. Eins ist sicher: An Vielfalt fehlt es nicht.

Ein Motto, das sich Johanna Walesch auch beim Bühnenbild zu Herzen genommen hat: ein Tisch auf Rollschuhen, an dem rundum Teebeutel hängen. Ein drehbarer Kleiderständer, vollgepackt mit Klamotten von Sporttrikot bis weißem Hemd. Noch mehr Klamotten in einer Tüte, Schuhe, eine Posaune, zwei Stühle und jede Menge bunte Kazoos auf dem Boden. Das braucht er alles gar nicht und das ist nicht nur als Kompliment gemeint. So richtig Gebrauch macht Jenitschonok von alledem wirklich kaum. Einmal pustet er mit halber Lunge in die Posaune und die Hälfte der rumliegenden Kazoos schiebt er irgendwann mit dem Fuß zur Seite.

Es wirkt, als habe Regisseur Hans Morgeneyer versucht, Jenitschonoks Monologe aufzulockern, wo es nur geht. „Weniger ist mehr“ scheint dabei nicht das Motto zu sein. Dennoch verlässt man am Ende den Saal mit dem Gedanken: „I care“. Denn Jenitschonok macht seine Gefühle, Appelle und Kritik dem Publikum verständlich, durchaus auch mit Humor. So gibt er Einblick in eine Welt, über die zu viele Menschen und besonders die Politik zu wenig wissen (wollen). Was Jenitschonok da auf der Bühne macht, ist vielleicht kein ganz großes Kino. Aber eindringliches, wichtiges Kopfkino.