Interview mit Lena Liedtke

„Dulzinea“ im Theater Verlängertes Wohnzimmer

Von Sophie Meub

Die Regisseurin Lena Liedtke vom Theater Verlängertes Wohnzimmer zeigt 2023 zum ersten Mal eine Arbeit beim Performing Arts Festival. Mit ihrem zweiten selbstgeschriebenen Stück „Dulzinea“ erzählt sie die Geschichte der Gefangenschaft der Piratinnen Anne Bonnie und Mary Read. Das Stück hatte seine Uraufführung im November 2022 und wird an allen Festivaltagen in dem kleinen Kieztheater gezeigt.

 

Lena, hast du dich als Kind gerne als Piratin verkleidet?

Bestimmt, aber ich kann mich nicht explizit daran erinnern. Die Idee für das Stück „Dulzinea“ beruht auf einer wahren Geschichte. Sowohl Anne Bonnie als auch Mary Read sind zur See gefahren. Sie waren zwei der berühmtesten Piratinnen der Geschichte. Ich habe dazu einen Artikel gelesen oder eine Doku geschaut und es hat mich fasziniert, dass sie gefangen genommen wurden und nicht genau überliefert ist, was dann passiert ist. Mal abgesehen davon, dass Piraten einfach cool sind, fand ich diese abgebrochene Geschichte faszinierend.

 

Dein Theaterstück versucht also, diese Lücke zu füllen?

Genau. Die Dulzinea erzählt, was im Kerker passierte: ob jemand entkommen konnte, ob es Liebe gab, ob es Verrat gab. All diese spannenden Dinge.

 

Bei der Kurzbeschreibung zu „Dulzinea. Euer Recht ist nicht das meine“ dachte ich zuerst an einen feministischen Blick auf diese Zeit. War das dein Anspruch?

Ich glaube, dass ich und jede Frau in einem bestimmten Alter, die in Berlin wohnt und künstlerisch aktiv ist, nichts ohne feministische Perspektive tun kann. Die schwingt bei mir einfach automatisch mit. Natürlich hat es feministische Anleihen, weil ich das als eins der entscheidendsten Themen unserer Zeit sehe. Es ist aber kein rein feministisches Stück.

 

Inwiefern?

Ich habe „Dulzinea“ im Corona-Sommer 2020 geschrieben. Damals habe ich mich sehr damit beschäftigt, was Verantwortung in der Gesellschaft bedeutet. Wir hatten die Diskussionen: Wer trägt Maske? Wer weigert sich? Gehe ich raus, wenn ich krank bin? Das sind alle diese Dinge, wo ich an den Punkt kam: Wann muss ich für mich selbst Verantwortung tragen? Wann kann ich erwarten, dass jemand anders für mich Verantwortung trägt? Was heißt es, Verantwortung von mir wegzuschieben?

 

Wie ist das ins Stück eingeflossen?

Aus der länger bestehenden Idee, ein Stück über diese zwei Piratinnen zu schreiben, ist allmählich ein Stück über Eigenverantwortung geworden. Über die Frage, was einen Menschen als Menschen ausmacht. „Dulzinea“ erzählt die Geschichte von Anne Bonnie und Mary Read, die wegen Piraterie festgenommen werden und im Kerker entscheiden, was sie tun wollen. Es geht darum, dass Menschen manipuliert werden, dass Fluchtpläne geschmiedet werden, aber auch dass Freundschaften entstehen. Auch um die Frage: Euer Recht ist nicht das meine – kann man immer mit den gleichen Maßstäben messen? Bewertet beispielsweise eine Piratin ihre Moral und Verantwortung anders, als jemand, der in einem Kerker Wächter*in ist? Das sind die Kernthemen. Und natürlich queere Liebe.

 

Warum zeigt ihr dieses Stück als PAF-Beitrag?

Das Stück hat zwar eine sehr klassische Verpackung und auch die Sprache hat vielleicht etwas Kleist-isches, aber die Themen sind unheimlich modern. Es geht um die Frage: Was macht mich als Menschen aus? Ich glaube, das sind Fragen, die wir uns in der Corona-Zeit immer wieder gestellt haben. Die Premiere war letztes Jahr im November und wir haben es fünfmal aufgeführt. Für das PAF holen wir es nochmal aus der Mottenkiste.

 

Du hast dabei zusammen mit Snoopy Regie geführt. Wer ist Snoopy?

Snoopy ist eine unheimlich talentierte Schauspielerin und Regisseurin, die im Theater Verlängertes Wohnzimmer unter anderem mal bei „Acht Frauen“ mitgespielt und dabei ein ein T-Shirt mit Snoopy drauf getragen hat. Deshalb nennen wir sie alle Snoopy.

 

Wie versteht ihr eure Rollen als Regisseurinnen?

Jeder hat seinen eigenen Regie-Stil. Snoopy und ich haben schon mal zusammen gearbeitet und haben festgestellt, dass wir da ganz gut harmonieren. Wo der eine Blick endet, fängt der andere an. Mein Regiestil ist sehr frei. Ich habe die Figuren im Kopf, möchte aber, dass die Schauspieler*innen viel selbst entwickeln. Wir haben für die Inszenierung viel an den Charakteren gearbeitet, sind in den Park gegangen und haben stundenlang geredet, sind zu einem alten Gefängnis gelaufen und haben darüber diskutiert, was Gefangenschaft bedeutet. Ich habe gefragt: Wer sind die Rollen? Wie fühlt ihr euch in sie ein? Snoopy setzt dort an, wo es tatsächlich um die Schauspieltechnik geht. Als ausgebildete Schauspielerin kann sie da gut ins Detail gehen. Sie ist sehr genau und detailverliebt. So bringt sie meine Arbeit – die das nur zu einem gewissen Grad schafft – auf das nächste Level, weil sie mit einem ganz anderen Fachwissen reingeht.

 

Gab es durch die gemeinsame Regie Spannungen im Probenprozess?

Tatsächlich nicht. Wir sind uns nicht immer einig, aber das können wir leicht klären, wenn wir über unsere jeweiligen Motive reden und entscheiden, wer das bessere Motiv hat. Für mich bedeutet gute Regie – was ich jetzt gar nicht auf gute Regie im Allgemeinen ummünzen würde – dass wir das gemeinsam machen. Bei uns stehen vier Schauspieler*innen auf der Bühne, die alle Ideen einbringen. Es wäre eine Schande, diese nicht zu nutzen. Am Ende haben aber wir das letzte Wort. Und da es mein Stück ist, liegt das letzte Wort bei mir, wenn Snoopy und ich uns nicht einig sind. Es ist aber eigentlich nie nötig, das zu nutzen, da wir als Team den Ton finden, den wir treffen wollen.

 

Seit wann bist du beim Theater Verlängertes Wohnzimmer?

Ich bin vier Jahre dabei gewesen, aber seit Anfang des Jahres mache ich eine kleine Pause. Nicht, dass wir uns gestritten hätten oder so, aber ich brauche einfach etwas Pause. Das PAF nehme ich aber noch mit, weil es reingepasst hat.

 

Warum machst du eine Pause?

Am einfachsten wäre es zu sagen, dass ich beruflich viel um die Ohren habe, was auch stimmt. Während Corona hat das Theater Verlängertes Wohnzimmer, wie viele kleine Theater, keine Unterstützung bekommen. Weil es als ehrenamtlich geführter Verein keine Coronahilfe bekommen hat, war es am Rande der Pleite. Ich gehörte zu jenen Mitgliedern, die sehr stark für den Erhalt gekämpft haben. Anfang dieses Jahres habe ich gemerkt, dass diese Energie aufgebraucht ist und erstmal wieder aufgebaut werden muss. Der jetzige Vorstand macht einen super Job, das Theater läuft, ist ein toller Ort für Künstler*innen im Kiez. Ich liebe das Verlängerte Wohnzimmer. Aber manchmal ist es klug eine Pause einzulegen, bevor man negative Emotionen gegen die Sache entwickelt.

 

Das Theater ist ja ein gemeinnütziger Verein. Wie erlebst du diese Organisationsstruktur? Was ist oder war deine Rolle?

Das Theater hat einen Vorstand, der aus drei Personen besteht und dafür da ist, konkrete Entscheidungen zu fällen. Grundsätzlich gibt es eine relativ flache Hierarchie. Es gibt aktive Mitglieder, die regelmäßig Aufgaben übernehmen. Ich habe zum Beispiel das Social Media Team geleitet. Nur weil das Theater ehrenamtlich getragen ist, kann es diesen Raum für Künstler*innen schaffen.

 

Woran liegt es, dass das Theater so wenig gefördert wird?

Normalerweise werden die laufenden Kosten im Theater Verlängertes Wohnzimmer komplett durch Veranstaltungen getragen. Das ist toll und sorgt dafür, dass man dort wirklich machen kann, was man will und man ungebunden ist in der Kunst, die dort passiert – ein cooles und sehr Berlin-nahes Konzept. Das funktionierte während der Lockdowns natürlich nicht mehr. Die Förderungen während der Corona-Zeit aber waren meist auf Theater gemünzt, die Angestellte haben, deren Jobs so erhalten werden konnten. Für den Verein war das problematisch, weil es keine Angestellten gibt, aber trotzdem so etwas wie Miete und Versicherung bezahlt werden mussten. Die gute Nachricht ist aber, dass sich das Theater nach den Lockdowns erholt hat und dort wieder regelmäßig Veranstaltungen laufen. Ich kann wirklich empfehlen mal hinzugehen!