„Natürlich ist niemand gezwungen, mit dem Bären zu kommunizieren.“

Lena Binski im Interview

Von Tommy Lehmpuhl

Lena Binski ist eine Performerin und Regisseurin, die sich auf Clownerie und nonverbales Theater spezialisiert hat. Ihre partizipative Solo-Performance “WHY NOT THE BEAR? #THECAGE” wird beim PAF gezeigt. Die Inszenierung verwandelt die Bühne des ACUD Theaters in einen Zoo. Und Lena Binski? Sie spielt einen großen depressiven Bären.

 

Wann warst du eigentlich das letzte Mal im Zoo?

Vor ein paar Jahren vor Corona, als ich Besuch hatte und meinen Freunden die Stadt zeigen wollte. Als Kind war ich sehr oft im Zoo und im Zirkus, weil ich mich auch für Zirkuskunst interessierte. Meistens natürlich die Clownerie, aber unter anderem auch Tiere. Als Kind fühlte ich immer Mitleid mit den Tieren, die im Zoo sitzen und/oder im Zirkus auftreten. Ich dachte einfach, es ist irgendwie nicht fair, oder?

 

Mit dem Käfig in deinem Stück hast du eine schöne Analogie zum Lockdown gefunden. Kam dir so die Idee zum Stück?

Ja, das war gezielt gewollt. Und ich habe diese Metapher aus einer Corona-Panik und -Nervosität heraus gespürt, als viele Sachen nicht erlaubt waren und man selber nicht wusste, was erlaubt ist und was nicht. Es war schön und gleichzeitig skurril, weil die Stadt so leer war. Dann führten aber auch diese große Eingesperrtheit und die Verbote zu diesem Gefühl, dass man sich auch in der Wohnung wie ein Tier im Käfig fühlt. Und dann habe ich mich selber gefragt: Was spürt man, wenn man ein ganzes Leben lang im Käfig sitzt?

 

Wie hast du daraus eine partizipative Performance gemacht?

Als Performerin und Autorin von Clownstücken habe ich mit den Kreationen des Charakters begonnen und die Geschichte mit kleinen Storys gefüllt. Was kann der Bär machen, was darf er, was nicht? Der Käfig ist zwar ein begrenzter Raum. Aber der Raum wird zu einem Gegenstand für die Performance. Der Bär als Opposition zum Publikum wirft weitere Fragen auf. Was kann er sich zum Beispiel mit dem Publikum erlauben? In der zweiten Hälfte der Performance lade ich das Publikum in den Käfig ein und dann ist es sehr interessant zu beobachten, wie die Leute agieren. Einige haben große Lust und wollen mitmachen, scherzen, winken und manche nicht. Darin sah ich eine sehr interessante Aufgabe: Wie kriege ich es hin, dass Leute freiwillig in den Käfig reinkommen? Jede Vorführung ist einzigartig und immer anders. Und das fasziniert mich natürlich.

 

Was machst du, wenn ein Publikum nicht mitmacht?

Dann habe ich Plan B, C, D und noch ein paar Gags, die ich in Proben und Vorführungen erarbeitet habe. Dadurch weiß ich, welche Tricks funktionieren und was ich in die Aufführung mitnehmen kann. Niemand ist gezwungen, mit dem Bären zu kommunizieren. Einmal wollte eine junge Frau nicht mit auf die Bühne, die ich aber später nochmal davon überzeugen konnte, sodass wir am Ende auf der Bühne tanzten.

 

Wann weißt du, dass deine Idee ausgereift und fertig ist?

Meine Arbeit ist nie fertig. Und da gibt es keine Grenze nach oben. Ich bin Perfektionistin und ich versuche immer, Gags und Ideen zu polieren und zu verbessern. Eine interessante Komponente bei diesem Stück ist, wie das Publikum reagiert. Nach jeder Show überlege ich, was gut geklappt und was nicht funktioniert hat. Ich würde sagen, wenn das Stück so zu 90 Prozent fertig ist, dann merke ich ein Gefühl in mir. Das bedeutet für mich, dass es mir nicht mehr peinlich ist, es anderen Leuten zu zeigen, auch Kolleg*innen. Und dann schätze ich deren Feedback auch. Danach geht es nur noch darum, Ideen zu präzisieren und sie dem Publikum zu servieren.

 

Wie haben deine Erfahrungen als Clown*in deine Inszenierung beeinflusst?

Clownerie ist sehr wohl dabei. Aber klar, ich bin in dem Fall nicht als Clown verkleidet. Keine rote Nase, sondern ich stecke in einem warmen, pelzigen Kostüm. Als ich mich mit dem Charakter des Bären auseinandergesetzt hatte, wollte ich keinen cholerischen, munteren und braven Bären. Er soll eher melancholisch und depressiv sein. Wirklich, so wie ein Berliner vielleicht… Eine Person, die lange alleine wohnt und abends Bier trinkt, Radiosendungen hört, und sich einfach nach Kontakt sehnt. Als Clownin habe ich Pantomime studiert und in meinem Stück spielt Bewegung eine wesentlich größere Rolle als Sprache. Die Regel gilt, je grotesker etwas auf der Bühne gezeigt wird, desto besser.

 

Das klingt sehr körperlich. Hast du eine Routine, bevor du auf die Bühne gehst?

Klar. Ich mache etwas Yoga und wärme mich auf. Die Show ist natürlich physisch. Von Künstler zu Künstler ist es bestimmt unterschiedlich, aber ich fühle mich gut, wenn ich vor der Show nicht ganz sicher bin. Es ist wie in kaltes Wasser zu springen, man weiß nicht, was auf einen zukommt. Ich muss mich überraschen lassen von dem, was passiert. Das ist eine Art Aberglaube, dass es mir Glück bringt, vor dem Auftritt etwas unsicher zu sein.

 

Im Stück trägst du ein großes Bärenkostüm. Gibt es Einschränkungen, die dadurch entstehen?

Es ist groß genug und es passen noch ein paar Kissen rein. Außerdem können auch noch ein paar Überraschungen in das Kostüm mit rein, die ich aus der Kiste zaubern kann. Ich bin auch der Meinung, dass Bühnenkostüme immer bequem sein müssen. Wenn sich eine Künstler*in im Kostüm nicht bequem fühlt, dann ist es ein schlechtes Kostüm. Ich muss alles Mögliche in diesem Kostüm machen. Es ist nicht schwer mich zu bewegen und bequem genug.

 

Warum arbeitest du mit dem ACUD Theater zusammen?

Ich bin seit 25 Jahren in Berlin. Als Clownin und Performerin habe ich mit meiner Clowngruppe viel im ACUD Theater geprobt, das war sozusagen unser Hauptquartier. Wir haben hier Sachen ausprobiert, gezeigt und sind dann weiter zu Festivals oder Varietés gefahren. Wir haben überall auf der Welt gearbeitet. Aber hier gab es immer so ein Heimatgefühl. Nach mehreren Jahren habe ich dann hier am Haus als Projektmanager und Art Director zu arbeiten begonnen. Das frisst natürlich Zeit und Seele. Aber ich mache das bis heute immer noch gerne.

 

Deine Performance wird im Kontext zum PAF-Festival gezeigt. Wie findest du die freie Kunstszene in Berlin?

Ich denke, dass Berlin wie das Mekka der Freien Szene und Kunst aller Art ist. Es war schon so, als ich zum ersten Mal hier war, und ist es jetzt immer noch. Das macht Hoffnung und Lust. Ich mag diese Stadt, sie macht mich glücklich und hier bin ich zu Hause.

 

Gibt es Personen, die dich und deine Arbeit inspirieren?

Sicher. Also Charlie Chaplin, das ewige Genie unter allen. Er ist der beste Clown, Künstler, Regisseur und Autor. Er hat die Zeiten mit geprägt. Und man sieht, dass er seine Kunst überlebt. Das ist wie Shakespeare oder wie griechische Pantomime. Zum anderen aber auch Federico Fellini, Roy Andersson, sowie Wsewolod Meyerhold, Konstantin Stanislawski und Michail Tschechow.

 

Du bietest auch viele Workshops zu Clownskunst und Theater an. Was sind so typische Fehler oder Anfängerfehler, die du immer wieder siehst?

Viele Profis oder auch Anfänger versuchen, lustig zu sein. Und das empfinde ich als einen Fehler. Man muss erst mal einfach beginnen und sich auf die Genauigkeit der Bewegungen konzentrieren. Dann ist das gleichzeitig interessant und lustig. Man muss ehrlich und organisch auf der Bühne sein, dann wird’s auch komisch.