Nur du und ich
Von Kseniia Ignatova
Wer sind wir? Die Geschichte einer zufälligen Begegnung, die Suche nach dem oder der Null-Patient*in oder eine sich schnell entwickelnde Lovestory? Erst einmal: zwei Personen, die sich ein Ticket teilen und zwei Versionen eines Audiowalks herunterladen.
Denn „RENDEZVOUS“ von RAUM+ZEIT (hinter dem sich Regisseur Bernhard Mikeska, Autor Lothar Kittstein und Dramaturgin Juiane Hendes verbergen) schickt das Publikum immer paarweise über die Berliner Museumsinsel. Doch vor der Begegnung kommt die Trennung; mit Kopfhörern im Ohr bewegen wir uns von der Treppe des Alten Museums aus in unterschiedliche Richtungen. Eine weibliche Stimme im Kopfhörer (Bibiana Beglau) liest uns die Bedingungen vor: „Du bist weder eine Frau noch ein Mann, du bist eine Militärperson.” Aufgabe der Teilnehmenden ist es, den oder die Null-Patient*in zu finden, um den Ausbruch einer neuen Pandemie zu verhindern, die die ganze Welt zerstören wird.
Während des Audiowalks werden wir aufgefordert, uns die Gebäude um uns herum in Trümmern und Berlin als völlig leere Stadt mit Krokodilen in der Spree vorzustellen. Zugleich müssen wir uns unseren Weg durch die Touristenmassen bahnen, das Tempo unserer Schritte anpassen, Richtungsangaben befolgen und die manchmal etwas zusammenhanglos erscheinende Handlung verstehen.
Bei den folgenden Begegnungen mit meiner Begleitung fragt Beglau so nach meinen Plänen für den Abend, dass ich glaube, dass sich meine Begleitung danach erkundigt. So verführt die Tonspur zum Flirt, weckt den Wunsch, mein Gegenüber zu küssen – was seinen Höhepunkt im Finale erreicht, wenn die Sonne die Erde verschluckt.
Eine gute Idee, aber die Wahrnehmung der Aufführung hängt zu sehr von den beiden Akteur*innen der Inszenierung ab. Wie sehr können sich beide auf die Sound-Atmosphäre einlassen? Wenn eine von den Teilnehmer*innen anfängt zu lachen oder sich verirrt, wie es dieses Mal geschieht, kann der ganze Spaziergang scheitern und muss vielleicht sogar von vorn begonnen werden.
Der Spaziergang ist nicht lang, führt vom Lustgarten durch den Hof der Alten Nationalgalerie hinter dem Neuen Museum entlang zum Wasser und kehrt, den Berliner Dom umrundend, zum Lustgarten zurück. Beglau gibt derweil den Gesprächen der Menschen auf der Straße eine Stimme, die sich – dem Soundfile sei Dank – alle über Pandemien, Viren, Beziehungen und Spaß unterhalten. Manchmal fühlt man sich sogar unwohl, wenn man einer Gruppe von Männern zuhört, die hinter dem Neuen Museum über das Spaßhaben diskutieren.
Mit der Zeit wird einem klar, dass der Virus offenbar im Wunsch besteht, einen anderen Menschen zu berühren. Liebe als Krankheit? Im Schlussmonolog sagt Beglau den Satz: „...und das Virus ist dabei, einer hat es aus der Zukunft mitgebracht: Hört Stimmen, die nicht da sind". Hier beginnen die Zweifel: Was ist das für ein Virus? Was hat das mit der Liebesgeschichte zu tun?
Man legt es sich etwas mühsam zurecht: Null-Patient*innen sind offenbar die Teilnehmenden selbst, die das Virus aus der Zukunft mitgebracht und offenbar eine neue Pandemie ausgelöst haben. Lange reden wir beide hinterher über das Erlebte und können doch nicht alle Fragen beantworten. „RENDEZVOUS“ ist eine Produktion mit Potenzial, die im Moment noch zu viele Variablen hat, die die Wahrnehmung beeinflussen und stören. In 40 Minuten voller rasanter Wendungen hat man keine Zeit, die Handlung zu erfassen, und das Finale lässt zu viele Fragen offen. Schade.