Rückwärts nimmer
Von Canan Laura Fedrowitz
Heute schon gespitzelt? Mit App und Smartphone in der Hand machen wir uns auf den Weg. Statt auf Google Maps blicken wir auf einen Lageplan in der App. Von dort spricht auch Britta mit strenger Miene zu uns, unsere erste Kontaktperson. Ihr grauer Mantel und die schwarzen Boots verleihen ihr eine mysteriöse Aura. „Bitte folgen Sie mir, wir werden beobachtet“, flüstert sie uns zu, und schon sind wir mitten im Geschehen.
Aus der Gegenwart entführt uns das Stück in das Jahr 1966, eine Zeit des politischen Umbruchs und der Konspiration. Wir, das Publikum, schlüpfen in die Rolle von BND-Agent*innen, damit beauftragt, den kommunistischen Untergrund zu beobachten. Gemeinsam werden wir zu getarnten Funktionär*innen der verbotenen Westdeutschen KPD und nehmen an einer Schulung in der DDR teil – in der historischen Kulisse der ehemaligen SED-Fahrbereitschaft in Berlin-Lichtenberg. Das Ziel: Einblick zu gewinnen in die politische Verschwörung und den Ost-West-Austausch.
Die vom Borgtheater eigens für ihre immersive Performance „Abteilung Verkehr“ entwickelte App führt uns mit einer Karte und einem Quiz von Raum zu Raum. Bevor wir den Raum gemeinsam betreten, lesen wir uns die Fragen und Antwortmöglichkeiten in der App durch. Drinnen versuchen wir herauszufinden, was sich zum Beispiel hinter dem Decknamen „Valentin“ verbirgt.
In jedem Raum wartet ein*e neue*r Schauspieler*in mit passenden Antworten auf die Fragen in der App auf uns. Die Schauspieler*innen in Kostümen der Zeit sind wirklich gut, reagieren auf Fragen und Reaktionen der Gruppe mit Improvisationen und finden immer einen Weg, unser Kichern auf ernste Weise in die Inszenierung einzubinden.
Im ersten Raum der ehemaligen Fahrbereitschaft werden wir in die Welt des Geheimdienstes entführt: Decknamen, Legenden, Schleusungen, Grenzübertritte... Dabei haben die Räume einen großen Anteil an der außergewöhnlichen Atmosphäre. Man spürt die Geschichte und die Lebendigkeit des Ortes. Geschickt bindet das Stück eine Pause an der Bar ein, an der uns eine Schauspielerin Sekt und Bier serviert und dabei im Berliner Dialekt plaudert.
Sobald man den Raum verlässt, steht man wieder da in einer Gruppe von Fremden und tauscht sich gegenseitig über die Geschehnisse aus, bevor man in die nächste Szene eintaucht. Diese Warte-Momente vor den einzelnen Räumen, die sich manchmal unangenehm dehnen, zeigen aber auch die Grenzen von „Abteilung Verkehr“. Erstaunlich, wie schnell man aus seiner Rolle herausfällt, wenn die Schauspieler*innen einen nicht beobachten. Läuft man einer anderen Gruppe über den Weg, grüßt man sie mit „Guten Tag, Genoss*in“ und fühlt sich wieder mitten im Spiel. Auch ein Erich-Honecker-Zitat begegnet einem immer wieder: Rufen die einen „Vorwärts immer“, antworten wir „Rückwärts nimmer“.
Wer im Geschichtsunterricht eingeschlafen ist, weil es zu langweilig war, ist hier genau richtig. Diese Veranstaltung verpasst einem regelrecht eine Geschichtsohrfeige. Allerdings ist diese Geschichte um Ost-West-Propaganda auch äußerst voraussetzungsreich. Oft genug gucken wir uns in unserer Gruppe verwirrt an: Seht ihr noch durch? Schade: Ein paar mehr Erklärungen, mehr Hintergründe hätten hier das Verständnis verstärken können, ohne die Spannung zu beeinträchtigen.